14 Aug 2015

Luft nach oben – Windows 10 auf dem Surface Pro 3

Nach nunmehr zwei Wochen Nutzung von Windows 10 auf meinem Surface Pro 3 wage ich mal ein erstes Resümee: Windows 10 ist sicherlich ein großer Schritt nach vorn und verfügt gegenüber Windows 8.1 über eine deutlich bessere Unterstützung des klassischen Desktops. Aber wie sieht das auf Touch-Devices wie dem Surface aus?

Eigentlich wollte ich diesen Artikel bereits vor der Veröffentlichung von Windows 10 schreiben und darin meine Eindrücke von meinen Tests auf Basis der „Technical Preview“ schildern. Nun bin ich froh, das nicht gemacht zu haben.

Der Grund dafür ist, dass ich Windows 10 vor dessen Veröffentlichung nicht auf mein System losgelassen habe sondern – wie in meiner Artikel „Ohne Reue“ beschrieben parallel in einer VHD installiert hatte. Somit wurde Windows 10 von mir nicht zum täglichen Arbeiten sondern zum gezielten Ausprobieren genutzt – und wie ich jetzt weiß ist das was gänzlich anderes.

Hätte ich den Artikel wie geplant geschrieben, so wäre er deutlich negativer ausgefallen als es nun der Fall ist. Ja, genaugenommen bin ich eigentlich mit Windows 10 zufrieden, aber wie die Schlagzeile zu meinem Artikel schon sagt gibt es noch Luft nach oben.

Was mir gefällt

Koexistenz zweier Welten

Hiermit meine ich die Verschmelzung von „klassischen“ Desktop-Anwendungen und den ModernUI-Apps, die mit Windows 8 eingeführt wurden. Was unter Windows 8.x noch zwei getrennte Welten waren existiert nun in friedlicher Koexistenz nebeneinander. Die Koexistenz geht dabei soweit, dass auch der ungeliebte Full-Screen Datei-Dialog von ModernUI-Apps dem klassischen Dialog gewichen ist. Das Look-and-Feel beider Anwendungsklassen rückt somit näher zusammen.

Continuum

Der automatische oder manuell wählbare Wechsel zwischen Desktop- und Tablet-Mode ist eine super Sache. Vor allem die Tatsache, dass nun auch klassische Anwendungen bei Auswahl des Tablet-Modus automatisch in den Vollscreen wechseln und der Desktop nicht mehr angezeigt wird finde ich gelungen. Das wirkt so viel mehr wie aus einem Guss.

Kein Desktop im Tablet-Modus

Im Desktop-Modus wird nach wie vor der klassische Desktop angeboten, das Startmenü wird in der Default-Einstellung nicht mehr Full-Screen sondern wie unter den Vorgänger-Versionen von Windows 8 eingeblendet. Wechselt man in den Tablet-Mode, so verschwindet der Desktop vollständig – ja, er wird  sogar gar nicht mehr angeboten. Somit gibt es auch keine „Desktop“ Kachel mehr im Startmenü, welches nun Full-Screen angezeigt wird.

Das Startmenü

Das neue Startmenü ist eine Art Verschmelzung des klassischen Startmenüs und dem Start-Screen von Windows 8.1. Im Tablet-Mode wird dieses wie unter Windows 8.x immer Full-Screen angezeigt, im Desktop-Mode hingegen klassisch.

Gut ist auch, dass nicht mehr so verschwenderisch mit dem Platz umgegangen wird, der Abstand zwischen den einzelnen Kacheln ist deutlich kleiner. In diesem Zusammenhang gefällt mir auch die Änderung von horizontaler in vertikaler Laufrichtung, d.h. wenn die Kacheln aufgrund ihrer Menge nicht auf den Bildschirm passen, so wird in vertikaler Richtung gescrollt und nicht mehr wie unter 8.x horizontal. Das ist übrigens so ein Punkt, den ich in einem frühen Artikel noch negativ bewertet hätte 😉

Cortana

Ich will hier nicht näher auf diese neue Funktion eingehen, da ich sie noch nicht intensiv genutzt habe. Um es kurz zu fassen: sie funktioniert soweit, was draus wird muss sich erst noch zeigen!

Info-Center

Ein Wisch von rechts oder ein Klick auf das entsprechende Icon in der Taskleiste und das Info-Center wird eingeblendet. Dort befinden sich neben den Benachrichtigungen von Apps und Anwendungen auch Schalter für diverse Aktionen wie den Tablet-Modus, die Steuerung der Bildschirmhelligkeit, Flugzeugmodus, VPN, WLAN u.s.w.

Ich persönlich finde das Info-Center sehr praktisch, ich nutze es sehr intensiv.

Edge – der neue Browser

Es wurde auch wirklich Zeit, dass der gute alte IE endlich zu Grabe getragen und durch einen modernen, schnellen Browser ersetzt wird.

Auch wenn Edge noch nicht fertig ist, was ich bisher sehe gefällt mir gut und ich nutze ihn schon intensiv als Touch-Browser. Auf dem Desktop nutze ich noch den Firefox, aber das dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

Wirklich toll finde ich die Idee Notizen auf den dargestellten Seiten erstellen und diese dann zusammen mit dem eigentlichen Inhalt speichern bzw. versenden zu können. Das ist wirklich praktisch.

Was mir nicht gefällt oder mir noch fehlt, dazu später mehr.

Anzeigenunabhängige Skalierung

Endlich gibt es die Möglichkeit die Skalierung der Anzeige für jede Anzeige getrennt einzustellen! Somit gelingt es auch eine Surface-Anzeige zusammen mit einem 1600×1200 Monitor zu betreiben ohne dass entweder der Monitor wie ein Seniorentelefon wirkt (man möge mir diesen Vergleich verzeihen) oder man für das Surface eine Lupe benötigt. Selbst der Wechsel einer App von einer Anzeige auf die Andere führt zu einem ordentlichen Wechsel der Skalierung (okay, zumindest wenn es sich um keine Adobe-Anwendung handelt). Klasse gemacht!!!

Was mir nicht so gefällt

Wegfall der Charms-Bar

Und da wage ich mich auf ein Terrain, welches die Gemüter spaltet: die mit Windows 8 eingeführt Charms-Bar. Ach was wurde darüber gescholten und wie wurde Microsoft für die Entscheidung diese mit Windows 10 sterben zu lassen in vielen Publikationen gelobt.

Ich persönlich war ein Fan der Charms-Bar, auch wenn die Umsetzung zugegebener Weise nicht perfekt war. Aber die Idee in einer Bar ein einheitliches Interface für Settings, Geräte, die Suchfunktion u.s.w. anzubieten empfand ich als  hochgradig logisch und in der Bedienung intuitiv. Und hier ist leider das Info-Center kaum ein Ersatz, lediglich der Punkt „Verbindungen“ bietet eine ähnliche Funktion an.

Und was kam als Ersatz?

Das „Hamburger-Menü“

Ja, auf dem Handy ist das vielleicht eine Bereicherung, aber der Charms-Bar kann es nicht das Wasser reichen. Auch sind hier nicht alle Punkte vereint, insbesondere die Einstellungen (Settings) von Apps sind meist – wie auch bei den Apps von Microsoft – wieder wo anders aufgeführt.

Ganz schlimm finde ich hier den

Umgang mit „Alt-Apps“

Apps, welche nämlich nicht für Windows 10 entwickelt wurden, werden irgendwie halbgar adaptiert. Ein Teil der Funktionalitäten wanderte in das Hamburger-Menü, andere müssen erst durch einen „Doppelwisch von Oben“ auswählbar gemacht werden.

Als Beispiel sei mal die App von „Dr. Windows“ herangezogen (Martin möge mir das verzeihen). Versucht in dieser mal die „Teilen“ Funktion zu finden: ja, ich musste lange suchen, denn hier kommt der „Doppelwisch“ ins Spiel. Erst dann wird nämlich das Hamburgermenü eingeblendet und man kann über dieses die „klassischen“ Funktionen der Charms-Bar erhalten.

Hier mal ein kurzer Shoot-Out zur Teilen-Funktion:

Windows 8.1:

  • Wisch von rechts
  • “Teilen“ auswählen

Windows 10:

  • Wisch von oben
  • Nochmal Wisch von oben
  • „Hamburger“ Menü auswählen
  • „Teilen“ auswählen

Erbebnis: 4:2

Und das soll nun ein Fortschritt sein? Verstehe ich nicht!

Weggefallene Funktionalitäten

Tja, auch davon gibt es leider einige.

Synchronisation des Startmenüs

über OneDrive. War m.E. eine Super Sache, eine Reinstallation verlor doch einen Teil ihres Schreckens und mehrere Devices mit gleichem Startmenü fand ich unglaublich praktisch!

Der globale DLNA-Support für Apps

Was ich meine ist die Fähigkeit Media-Files wie Songs, Filme oder Fotos an einen DLNA-Renderer (UPnP Renderer) zu senden, damit dieser an Stelle des Windows-Rechners die Wiedergabe übernimmt. Ich hatte in meinem Artikel “Medienwiedergabe per DLNA unter Windows 10” bereits darüber berichtet.

Ja ich weiß, der betagte Media-Player kann immer noch PlayTo (was jetzt CastTo heißt – warum auch immer das nun so „google-like“ benannt werden musste), aber Apps können es nur noch dann, wenn die Funktion direkt in diese reinprogrammiert wurde. Das ist aktuell m.W. lediglich die App „Film & Fernsehen“.

Andere Apps wie Mediatheken (ARD, ZDF etc.), die Musik-App, youTube-Apps etc. können das aktuell nicht mehr, selbst wenn die identische Version das unter Windows 8.1 noch konnte. Dort reichte nämlich der Aufruf der Charms-Bar, Auswahl von „Geräte“ gefolgt von „Wiedergabe“ und man konnte den Renderer wählen.

Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass diese Funktionalität künftig über das Info-Center und dessen „Verbinden“ Funktion realisiert wird, darüber scheint jedoch lediglich MiraCast zu funktionieren.

Smart-Files in OneDrive

Dabei handelte es sich um Platzhalter, welche im Dateisystem auch Dateien von OneDrive vertreten haben, welche gar nicht auf den Rechner synchronisiert wurden. Okay, manche scheint das verwirrt zu haben, ich fand diese Funktion sehr nützlich.

Fehlende OneDrive-App

Ja ich weiß, diese soll in Q4/2015 nachgereicht werden, aber hey: wie kann man als Microsoft eine neue Version seines Systems ohne eine solche Applikation starten? Das ist mir ein Rätsel und ich kann nicht glauben, dass deren Erstellung wirklich in der Zeit nicht machbar war. Aber irgendeinen Grund muss es ja haben…

Eingeschränkte Edge-Funktionalität

So gut er auch schon sein mag, da fehlt schon noch einiges. Für mich die wichtigsten Punkte sind dabei:

  • Eine vernünftige Bookmark-Verwaltung, was bisher da ist kann ich nur als „rudimentär“ bezeichnen.
  • Der Support von Plug-Ins (soll ja im Oktober folgen, hoffentlich gibt es dann auch schnell ein Xmarks-Plug-In)
  • Gesten-Steuerung wie in der ModernUI-Version des IE. Das war dort eines meiner Lieblingfeatures: vor- und zurückblättern per Wischgeste!
  • Links auf dem Startmenü sollten nicht (fast) alle das gleiche Icon haben sondern das der URL nutzen.

Was man besser machen könnte

Wechsel zwischen Apps

Ja, ein Wisch von Links oder Auswahl des entsprechenden Icons auf der Taskleiste und ich bekomme eine Anzeige aller laufenden Apps und Anwendungen. Aber da gab es eine einfachere Möglichkeit unter Windows 8.1. Denn der benannte Wisch sorgte dort für ein schnelles Durchblättern aller aktiven Apps – ein Wechsel war so sehr schnell durchgeführt. Warum ist das nun nicht mehr so? Man hätte das problemlos so lassen können, die Übersicht aller Apps steht ja auch immer über das Icon zur Verfügung.

Mehrere Apps anzeigen lassen

Auch wenn das immer noch geht, so ist das m.E. nun doch deutlich umständlicher geworden.

Unter Windows 8.x musste man nur eine 2. App wählen und diese an den linken oder rechten Rand ziehen und schon waren beide Apps auf dem Bildschirm.

Unter Windows 10 muss man die 1. App wählen, von oben wischen und diese an den gewünschten Rand ziehen. Jetzt erhält man in der anderen Bildschirmhälfte eine Auswahl bereits gestarteter Apps und kann daraus wählen.

Okay, es ist halt jetzt einfach anders und es geht, aber mir fällt da noch folgende Vorgehensweise ein, die ich für sinnvoll erachten würde:

  • Wisch von Links
  • Möglichkeit eine App zu packen und an einen Rand zu ziehen
  • Dann die Einblendung und die Auswahl der 2. App für die andere Bildschirmhälfte

Individualisierung des Start-Menüs

Was ich hier vermisse ist eine Mehrfachselektion von Kacheln, um diese dann gemeinsam zu verschieben. Dies war unter Windows 8.1 noch möglich und war bei der Gestaltung und Sortierung innerhalb des Startmenüs sehr hilfreich. Ich wünsche mir diese Funktion zurück.

Edge-Browser

Für die Touch-Bedienung sind die Tabs zu klein. Auch gehören diese, ebenso wie die Eingabezeile, bei einem touchoptimierten Browser einfach nach unten und nicht nach oben.

Im Dark-Mode sieht er zwar schick aus, aber es ist kaum noch zu erkennen welcher Tab gerade aktiv ist. Da stand das Design wohl an erster Stelle und nicht die Bedienbarkeit.

Die Standard-Apps von Microsoft

Diese sind für mich die größte Enttäuschung nach dem Wechsel auf Windows 10 – zumindest teilweise.

Recht gut gefällt mir dir Fotos-App, da sollte nur noch eine Ansicht nach Ordnern ergänzt werden, dann wäre diese fast schon perfekt. Auch die Kalender-App ist in Ordnung.

Fast schon katastrophal ist die Mail-App. Ich war mir sicher, dass diese alles bieten würde wie die App unter Windows 8.1 – weit gefehlt. Da fehlen so simple Dinge wie die gleichzeitige Anzeige mehrerer Konten, eine Aufräumen-Funktion, die Anzeige aller Ordner (nicht mal der Spam-Ordner wird mehr angezeigt) u.s.w. Was Microsoft da abgeliefert hat ist in meinen Augen echt peinlich, zumal die App noch sehr buggy ist!!!

Die Kontakte App hat einen klaren Zugewinn erhalten: die Eingabe von Geburtstagen und Jahrestagen. Aber ansonsten wirkt das Teil einfach lieblos hingeklatscht. Nach dem Start eine alphabetische Liste aller Kontakte am linken Bildrand, der Rest verbleibt komplett ungenutzt. Was soll denn das? Das war früher eindeutig besser gelöst. Und ach ja, das Live-Tile funktioniert auch noch nicht.

Extrem enttäuscht bin ich auch von der News-App und ihren Derivaten (Sport, Finanzen). Während die Übersicht noch den ganzen Bildschirm nutzt erhält man bei Auswahl eines Artikels die Web-Ansicht, zentriert auf die Mitte (welche eine Platzverschwendung) ohne die Möglichkeit die Anzeige zu zoomen und ohne eine Leseansicht. Da geht man besser gleich auf www.msn.de, dort kann man wenigstens zoomen und auch die Leseansicht aktivieren!

Mein persönliches Ergebnis

Auch wenn die Kritik hier überwiegt habe ich den Wechsel auf Windows 10 nicht bereut. Ich bin überzeugt davon, dass sich einige der hier genannten Punkte im Laufe der Zeit durch Nachbesserungen und Funktionserweiterungen erledigen werden.

Ja, Windows 10 hat noch einige Bugs, aber die werden sicherlich in nächster Zeit verschwinden (bzw. anderen Bugs weichen J )

Einfach gelungen finde ich die Koexistenz beider Welten, alleine das rechtfertigt m.E. das Upgrade, welches bei mir übrigens absolut problemlos abgelaufen war.

Skeptisch bin ich noch, wie sich Windows 10 auf kleineren Touch-Devices wie z.B. einem Dell Venue8 oder einem HP Stream 7 verhält. Spontan würde ich vermuten, dass diese Displays für eine vernünftige Touch-Bedienung nun zu klein sein dürften. Hier würden mich eure Erfahrungen sehr interessieren.

Sicherlich habe ich in diesem Worterguss nicht alle Punkte angesprochen, es war mir aber wichtig hier in diesem Blog mal über dieses Thema zu reden und sowohl meine Freude als auch meinen punktuellen Frust zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe ich habe euch nicht gelangweilt!

Unterm Strich bleibt mir nur zu sagen: Microsoft, arbeitet wie angekündigt weiter an dem System, macht eure Hausaufgaben und hört weiterhin auf das Feedback eurer Kunden. Dann wird Windows 10 das, was ihr uns versprochen habt: das beste Windows aller Zeiten!

Über den Autor: Thomas Paatsch

Wie auch Ralf bin ich ein Fan der Surface Produktfamilie und bin neben ihm hier einer der Hauptverfasser von Artikeln zu diesem Themengebiet. Nach einem Ausflug zur Konkurrenz (Toshiba Portégé) bin ich mittlerweile ins Surface Lager zurückgekehrt und heiße ein Surface Pro 7 mein Eigen. In meinem Haushalt gibt es aber auch noch einen Surface Laptop 1 sowie ein Surface Pro 6.